»Die Neigung des Wiener Volkes geht ohnedies aufs Persönliche.« Im Oktober 1913 richtete der Wiener Volksbildungs-Verein an den in Berlin-Südende lebenden Arnold Schönberg die Bitte, einen Vortrag im Zyklus »Aus der eigenen Werkstatt« zu halten. Kürzlich konnten wir Schönbergs autographes Antwortschreiben erwerben.
Arnold Schönberg
Berlin-Südende
Berlinerstr. 17a
Tel: Tempelhof 174
18/X.1913
PT. Wiener Volksbildungs-Verein, aus Ihrem Brief entnehme ich, dass Sie mich und meinen Brief missverstehen. Vielleicht hätte ich deutlicher reden sollen. Ich will es also nachtragen:
I. den gewissen Vortrag "Aus meiner Werkstatt" will ich nicht halten, weil ich der Ansicht bin, die Neigung des Wiener Volkes gehe ohnedies aufs Persönliche, statt aufs Sachliche und es wäre daher nötig diese Neigung zu unterdrücken; nicht aber, sie heranzubilden. Man kann von mir nicht verlangen, dass ich am falschen Ende arbeite, wo ich am rechten stehe.
II. Ein anderer Vortrag ist mir bis jetzt nicht eingefallen. D.h.: ich bin kein Journalist, also keiner, der auch etwas sagt, wenn ihm nichts einfällt.
III. Ich weiss nicht ob ich Zeit hätte, einen solchen Vortrag während der Wintersaison auszuarbeiten, das heißt: wenn man kennt, was ich sonst geschrieben habe, (Sie erlauben mir so hochmütig zu sein, dass ich diese Kenntnis als eine meiner Forderungen angesehen haben möchte) weiß man, dass auf meinem Niveau zwar Zeit nötig ist, aber für die Mitwirkung eines Reporters, wie Sie sie mir und mit Erfolg wohl noch anderen Tenören empfehlen, bisher kein Bedürfnis vorlag.
Nichtsdestoweniger werde ich mich sehr gerne in den Dienst Ihrer Volksbildungsbestrebungen stellen, wenn die Bedingungen, die an meiner Person liegen erfüllt wären und die Daten die Sie vorschlagen mir passten. Leider aber bin ich zur genannten Zeit in Leipzig und Amsterdam mit dem Einstudieren und Dirigieren meiner Werke beschäftigt.
Hoffentlich kann ich Ihnen ein anderesmal dienen und vielleicht verstehen wir uns dann auch von vornherein besser.
Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Arnold Schönberg